Charles Darwin war über die Naivität einer
Meerechse (Amblyrhynchus cristatus)
verblüfft, die er wiederholt am Schwanz packte und ins Meer warf,
die aber daraufhin immer wieder zu ihm zurück ans Ufer schwamm.
Sind Meerechsen doch perfekte Schwimmer [siehe
Video], so hatte er erwartet, daß das Tier sich von ihm
entfernen würde ["...and as often as I threw it in, it
returned in the manner above described...Perhaps this singular piece of
apparent stupidity may be accounted for by the circumstance, that this
reptile has no enemy whatever on shore...", Charles Darwin in seinem
Journal of Researches
]. Die Tatsache, daß
Inseltiere vor Menschen nicht davonlaufen, wurde legendär und wird
oft als "zahmes" Verhalten beschrieben. Als Ursache für diese
Vetrautheit vermutet man die Abwesenheit von Landraubtieren auf den
Galápagos Inseln. Leider haben sich die Zustände
verändert. Auf einigen Inseln des Archipels wurden Katzen und
Hunde eingeführt, die, nunmehr verwildert, zahlreiche Meerechsen
und andere einheimische Tiere töten. Zusätzlich strömen
jährlich mittlerweile über 100 000 Touristen durch die
Kolonien der Meerechsen.
Wenn sich ein Raubfeind oder Mensch nähert, flüchtet
normalerweise jedes Tier, sobald eine bestimmte Fluchtdistanz
unterschritten wird. Bei Inseltieren ist diese Fluchtdistanz
äußerst gering.
Bei
kontinentalen Tieren führt die Wahrnmung einer Bedrohung zu
einer unmittelbaren physiologischen Streßantwort - der Herzschlag
beschleunigt sich, der Blutdruck steigt, viele körperliche
Funktionsänderungen, die dem Tier die Flucht erleichtern. Wenn die
Gefahr nicht schnell
wieder vorüber ist, oder ein Raubfeind die Verfolgung aufnimmt,
werden zusätzlich sogenannte Streßhormone (Kortikoide) mit
länger anhaltender Wirkung ausgeschüttet. Sie
ermöglichen die Mobilisierung von Energie und stellen den
Körper auf erhöhte körperliche Anstrengungen ein.
Tiere
auf Galápagos, die nicht oder spät vor einem sich
nähernden Menschen oder Hund flüchten, scheinen also nicht
dem allgemeinen Schema der Auslösung und Aufrechterhaltung von
Flucht zu folgen. Die Frage stellt sich nun, ob bei diesen Tieren die
physiologische Streßantwort eingeschränkt ist, und in
welchem Maße sie wieder lernen können, auf die neue
Bedrohung durch eingeführte Hunde und Katzen zu
reagieren.
In
unserem interdisziplinären Projekt untersuchen wir
Fluchtdistanzen, d.h. die Distanz ab der ein Tier vor einem sich
annähernden Mensch oder Hund davonläuft. Wir messen aber auch
die physiologischen Parameter einer Streßantwort und vergleichen
Plätze an denen Meerechsen Hunde und Katzen ausgesetzt sind, mit
Plätzen, an denen sie noch keinem dieser Prädatoren
begegneten. Ab February 2005 fanden Mitarbeitern
des Nationalparks an einem Küstenabschnitt am Ortsrand der Stadt
Puerto Baquerizo Moreno (Insel San Cristobal) tote und sterbende
Meerechsen (siehe Fotos).
Bisse freilaufender Hunde stellten sich als
Ursache für diesen lokalen Exodus heraus. In einer
Übergangszone, in der nachweisbar regelmäßig
Hundeattacken
auftreten, in der aber auch noch unverletzte Meerechsen lebten, konnten
wir während unseres letzten Aufenthalts Blutproben für
Hormonanalysen nehmen, um so den unmittelbaren Einfluß eines
starken und akuten Prädationsdrucks zu untersuchen.
Wenn
die Konzentrationen von Streßhormonen über längere
Zeit erhöht sind, kann es zu einer Unterdrückung des
Immunsystems kommen. Dieser Zusammenhang ist ein weiterer Gegenstand
unserer Untersuchungen, mit denen wir versuchen, sowohl Fragen aus der
Grundlagenforschung als auch Fragen zum praktischen Schutz der Tiere zu
beantworten.